Bieler Tagblatt vom 07.06.2001


Hellhörig werden fürs feinste Geräusch

Lücken faszinieren ihn, auch Ränder, und er nimmt es in Kauf, den Leser bis an den Rand des Zumutbaren mitzunehmen. Franz Dodel liest am Samstag in Biel aus seinem neuen, schmalen Gedichtband.

Christophe Pochon


Nicht fix an einem einzigen Ort zu verharren, sondern offen zu sein für ein geistiges Nomadentum, Blickkontakt zum Himmel und zur Erde zu haben, ist das Anliegen von Franz Dodel, der am Samstag im Atelier Robert in Biel aus seiner Gedichtsammlung liest, die das erste Buch der Edition «Haus am Gern» geworden ist. Dodel plädiert dafür, Wände abzutragen, auf die Seite zu legen; die erste Zeile seines ersten Gedichts hat denn auch der Veranstaltung das Motto und dem Buch den Titel geliefert: «Mein Haus hat keine
Wände». Bestimmt fällt einem in seinem Haus auch nicht die Decke auf den Kopf. «Mein Himmel war nie dicht…» schreibt er.

Der Seele zuhören

Er selber, 1949 geboren und heute als Bibliothekar und freier Schriftsteller in Bern lebend, ist beruflich auch immer wieder aufgebrochen, hat sich neue Räume erschlossen, aber lärmige Vorstösse waren das nicht.
Das Mönchstum fesselte ihn - auf dem Berge Athos so gut wie in Ägypten, dessen frühester Variante er seine Dissertationsarbeit widmete. Mit Mönchstum verbinden sich Vorstellungen von Einkehr, von Besinnung auf sich selbst, von einem Hineinhören in die Seele.

Es fällt auf, dass das Hören, das Hinhören in seinen Gedichten einen wichtigen Platz einnimmt. Wegzutreten aus den Alltagsgeräuschen sei für ihn von zentraler Wichtigkeit, bestätigt er in einem kurzen Gespräch. Der Zen-Buddhismus lieferte ihm nach seinen Worten den spirituellen Hintergrund für die Fähigkeit, sich zu versenken, sich auf das unmittelbar vor ihm Liegende zu konzentrieren. Sich in die Stille zu begeben, um hellhörig zu werden für das leiseste Geräusch. Um das Ohr zu schärfen. Hellhörigkeit entsteht nicht automatisch.

«Hörübung» nennt Dodel denn auch ein weiteres seiner Gedichte. «? Über dem See / die Regentropfen / zögern / hören / das trockene / Zittern der Gräser?» Die Eindrücke, die es beschreibt, hat er alle auf einer Wanderung aufgenommen. «Doch eine blosse Verarbeitung eines Reiseberichts hätte niemanden interessiert», sagt er. Seine Aufgabe habe darin bestanden, die Bilder neu zu verknüpfen.

In Lücken stehen

Er mag es auch, wenn ein Bild plötzlich verfremdet, wenn ein Geschehen unterbrochen wird und sich in dessen Ablauf eine Lücke öffnet. Jedem einzelnen dieser Momente haftet seiner Auffassung nach etwas ganz Besonderes an. Dodel bekennt, gerne in Lücken zu fallen. Lücken, die zum Nachdenken anregen über die Reichhaltigkeit des Lebens: «… beim Wahr-Nehmen Lücken / entstehen die holpern ins Denken / und bilden Schuppen, etwas / wie weisses Bewusstsein». Die Lücken haben einen festen Platz in seinen Gedichten.

Wie die Ränder.

Einen Zustand am Rand findet Dodel viel interessanter als die zentrierte Mitte mit ihrer «langweiligen Häuslichkeit». Man könnte zweifellos auch sagen, jemand am Rand ist den Unwägbarkeiten des Schicksals viel mehr ausgesetzt als in der Mitte. «Gegen die Ränder zu sein / wo die Knoten sich lösen / vom Teppich und seine dünn / gewordenen Fäden sich/in fremde Winkel zerren/wo die Farben abtreten/bleich und entspannt…» («Textil»).
Um zu Rändern vorzustossen, ist für den Autor eine gewisse Schwerelosigkeit Voraussetzung. Die Schwerelosigkeit, die, so darf aus einem andern Gedicht («Mit diesem Leib») gefolgert werden, am ehesten noch die Sehnsucht einzuholen vermag.

«Wahnsinnig schwierig»

Dodels Gedichte sind nicht leicht zu lesen. Das gibt er, darauf angesprochen, selber zu. «Die Interpretation ist wahnsinnig schwierig.» In seinem Werk verzichtet er weitgehend auf Satzzeichen, was der Klarheit auf Anhieb nicht förderlich ist. Das bestreitet er gar nicht. Aber er will sich nicht als grundsätzlichen Gegner von Satzzeichen verstanden wissen. Sein Anliegen sei es gewesen, für den Leser Freiraum zu schaffen, wo dieser nach Lust und Laune selber Verbindungen zwischen den Worten herstellen könne. Das geistige Nomadentum, die Neugier also möchte Dodel mit seinem Buch anstossen.

nach oben

zurück