F A L L A D A
DIE <URBAN LEGEND> SKULPTUR VON RUDOLF STEINER UND BARBARA MEYER CESTA

 
PRESSE
  
 

SEELÄNDER BOTE
7. JULI 2003
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Rapperswil BE

Wenn Kunst mit Emotionen springreitet

 
tb. In Rapperswil steht ein Traktor auf einer Wiese. Ein normales Bild in einem normalen Bauerndorf im Berner Seeland. Aber nichts ist mehr normal, die Welt steht quer, seit Kunst im Dorf ist. Denn der Traktor ist nicht mehr nur Traktor sondern auch Ziel; Ziel eines Angriffs auf den guten Geschmack, auf den Anstand und die Vernunft, auf die Ethik und die Moral, auf die Würde der Kreatur und den gesunden Menschenverstand - kurzum ein Angriff auf fast alles, über was die normalen Menschen sich schon geeinigt zu haben scheinen, ein für alle Mal.
 
Zwei Künstler sehen dies anders. Sie verkünden, während der Ausstellung «rapp – Kunst im ruralen Raum» auf eben diesen Traktor ein Ross abzuwerfen, per Hubschrauber, ein zwar schon totes notabene, aber trotzdem: ein Pferd, ein edles Tier, der beste Freund des Menschen. Die Künstler heissen Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta, wohnhaft in Biel, und sie versuchen nicht, sich und ihr Vorhaben zu verbergen. Sie unterhalten sogar eine Website mit dem Titel ihres Projekts, das da heisst FALLADA nach dem sprechenden Gaul im Grimmschen Märchen «Die Gänsemagd», oder nach dem Schriftsteller Hans Fallada, der sich nach dem sprechenden Gaul im Grimmschen Märchen nannte, aber das führt hier schon zu weit. Bleiben wir auf dem Boden, auf dem der Traktor steht. Er gehört Hans Ruchti, Bauer in Rapperswil. Hans Ruchti, sein Feld und der Traktor sind real, auch wenn der Traktor nicht Hans Ruchti gehört. Den haben die beiden Künstler für 1000 Franken woanders gemietet. Hans Ruchti staunt ob dieser Summe, aber wenn ihn jemand fragt, ob er denn spinne, diesen Künstlern sein Land zu überlassen, antwortet er: «Die bezahlen mir so viel Geld für den Blätz, das verdien’ ich in einem Jahr nicht», und schmunzelt. Weil es nicht stimmt, aber es könnte schon stimmen, denn was stimmt und was nicht, das weiss inzwischen niemand mehr so genau in Rapperswil. Denn die Zeitungen berichten mal dies, die lokalen TV-Sender berichten mal das, aber am Stammtisch im «Ochsen» und am Stammtisch im «Bären» ist man sich einig wie selten: diese Künstler spinnen, ihr Projekt ist Mist und keine Kunst, ist pervers, abartig, jenseits von Gut und Böse, Punkt fertig Schluss. Mehr gibt’s nicht zu sagen. Ausser am Telefon, auf die Nummer des Gemeindepräsidenten. Denn der Gemeinderat gab 5000 Franken ans Projekt «rapp», aufgeteilt unter 17 Künstler mit 14 Projekten, mit blindem Vertrauen in die gute Sache, aber in Unkenntnis der einzelnen Projekte, auch in Unkenntnis aktueller Tendenzen zeitgenössischer Kunst. Bitter enttäuscht sei er nun, sagt Fritz Ruchti, der Gemeindepräsident (nicht verwandt mit Bauer Hans), denn wie man es auch dreht oder wendet, die Sache mit dem toten Pferd macht ihm keine Freude, macht die ganze Ausstellung kaputt, bringt das Dorf durcheinander und dazu noch in Verruf. Wozu das Ganze?
 
Das wollen auch die rund 40 Leute wissen, die sich am Freitagabend vor der Rapperswiler Post einfinden. Dort steht der Infocontainer von «rapp – Kunst im ruralen Raum», darin ein Computer, der per Mausklick die ganze Geschichte von «Fallada» erzählt: das Märchen der Gebrüder Grimm, die Urban-Legend von der Kuh, die aus einem russischen Flugzeug auf ein japanisches Fischerboot fiel, die Gesuche der Künstler an die Gemeinde, an den Kantonstierarzt, an das Bundesamt für Zivilluftfahrt, an das Extraktionswerk GZM in Lyss. Eine Animation zeigt ein Pferd, das vom Himmel fällt und kurz vor dem Aufschlag auf den Traktor ausgeblendet wird, gefolgt von Presseberichten, Reaktionen, allgemeinen Überlegungen und schliesslich und endlich den Ablehnungen aller Gesuche. Auf diesen Bescheid warten alle, die sich zur Sonderführung «Fallada» vor dem Container eingefunden haben, am sehnlichsten eine Gruppe Reiterinnen und Reiter - ein Kind haben sie mitgebracht - angeführt von einer resoluten Frau auf einem braunen Pony. Erst seit sich die Geschichte vom fallenden Pferdekadaver in Chatforen von Pferdefreunden virusartig verbreitet hat, gehen die Emotionen auch schweizweit richtig hoch. Die Künstler und die Gemeinde werden mit empörten und besorgten E-Mails eingedeckt: Diese Künstler seien echt krank und sollten sich doch bitte sehr gleich selber aus dem Helikopter stürzen, «dann gibt’s zwei Irre weniger». Der Protest formiert sich, auch im falschen Glauben, das tote Pferd werde gleich heute abgeworfen. Einzelne Stimmen äussern zwar den Verdacht, das Ganze sei nur ein Witz (wenn auch ein geschmackloser), sei doch nicht mehr als üble Provokation und Propaganda mediengeiler Möchtegernkünstler, man bleibt dabei, das Projekt müsse in jedem Fall verhindert werden. Deshalb sind sie jetzt hier, Pferd und Reiterin, stehen Aug in Aug mit den Künstlern und fordern Respekt vor dem Tier und Genugtuung für die verletzte Seele.
 
«Wird das Pferd nun abgeworfen oder nicht? Wir wollen ein Ja oder ein Nein, dann können wir nach Hause gehen», sagt ein Mann und viele nicken. Die Künstler verweisen auf den nach wie vor fehlenden Pferdekadaver, auf die fehlende Unterstützung durch Helikopterunternehmungen, verweisen auf die abgelehnten Bewilligungen – der Entscheid der Gemeinde wird heftig beklatscht - und allgemeine Erleichterung macht sich breit. Doch leider erklären die Künstler, von ihrem Einspracherecht Gebrauch zu machen. Recht ist Recht, auch für Künstler. Und während die Stimmung momentan sinkt, während auf der berittenen Seite der Schöpfer ins Feld geführt wird und auf der Künstlerseite der rechtlich nicht existente «Totenfrieden» für Tiere, während das Schöne und Gute der Pferde hochgehalten («Pferde sind die bessern Menschen») und die Freiheit der Kunst verteidigt wird, steigt bei den einen oder anderen der Zweifel auf, ob es wirklich noch um den zerschmetterten Kadaver geht, oder ob das schreckliche Bild in seinem Kopf nicht vor etwas anderem, möglicherweise wichtigerem steht. Aber vor was? Wenn sogar die zwei Künstler das Bild des geborstenen Pferdekörpers schrecklich finden, um was um Himmels Willen geht’s denn hier? «Die verarschen uns», sagt ein Mann: «Die wollen doch nur, dass wir hier stehen und diskutieren, damit wir und was wir sagen Teil des Projektes sind». Sagt’s und geht. Die anderen bleiben und eine gewisse Entspannung stellt sich ein. «Die wollten das Pferd doch von Anfang an nicht abwerfen», sagt eine Frau zu anderen, «schau sie dir doch an, die könnten das nie und nimmer tun.»
 
Später, am Stammtisch im «Bären», macht mit dem Bier auch ein neuer Vorschlag die Runde: die Gemeinde, meint einer listig, solle ihren negativen Entscheid nochmals überdenken. Die anderen finden bald Gefallen an der Idee: «Genau. Drehen wir den Spiess doch einfach um. Wenn sie die Bewilligung kriegen, sitzen sie in ihrer eigenen Falle!» Das Künstlerpaar, malt man sich aus, werde dann blass vor Schrecken im Helikopter sitzen - unten baumelt das tote Pferd - und nicht den Mut finden, ihr eigenes schreckliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Eigentlich ganz normal.
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