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DIE <URBAN LEGEND> SKULPTUR VON RUDOLF STEINER UND BARBARA MEYER CESTA

 
PRESSE
  
 

DEUTSCHLANDFUNK 10.AUGUST 2003   back >>
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Schweizer Gaulwurf
Die Einwohner von Rapperswil am Zürichsee wissen mittlerweile gar nicht, worüber sie sich mehr
ärgern sollen: über die ekelerregende Vorstellung, daß zwei Künstler ein totes Pferd aus hundert
Metern Höhe auf einen Traktor fallen lassen wollen, oder darüber, daß dieses Kunstprojekt, über das
sich alle wochenlang ereiferten, gar nicht so geplant war, wie es verstanden wurde. Denn der Traktor
steht immer noch unbesudelt auf dem Feld und der Hubschrauber, der das Flugfleisch herbeibringen
und abwerfen sollte, ist einfach nicht in Sicht.

Das hat zum einen administrative Gründe. Man kann sie auf der Website von Rudolf Steiner und
Barbara Meyer Cesta nachlesen. Zum Beispiel die Verfügung – Verfahrensgebühr 450 Franken – des
kantonalen Veterinärdienstes von Bern, der den Gesuchstellern sowohl den Helikoptertransport als
auch den Abwurf eines Pferdekadavers im Kanton Bern verbot. Oder den Beschluß des Gemeinderats,
der für das Vorhaben keine Bewilligung erteilte, weil er gesundheitspolizeiliche Gefahren und die
Verletzung der Würde des Tieres befürchtete. Oder das Schreiben des Schweizerischen Bundesamtes
für Zivilluftfahrt, das – gestützt auf Artikel 81 der Luftfahrtverordnung – darauf hinwies, daß lediglich
die in Absatz 2 der Verordnung über die Verkehrsregeln der Luftfahrzeuge abschließend aufgezählten
Gegenstände oder Stoffe bewilligungsfrei abgeworfen werden dürfen. Pferdekadaver gehören nicht
dazu.

Zum anderen stellt sich allmählich heraus, daß Steiner und Meyer Cesta eigentlich etwas ganz anderes
beabsichtigten, als ein Ross vom Himmel stürzen zu lassen: sie wollten den Leuten in Rapperswil und
anderswo bloß den Gedanken, daß ein Ross vom Himmel stürzen könne, in die Köpfe projizieren. Zu
diesem Zweck verfaßten sie groteske Exposés, verfertigten Skizzen, verteilten Flugblätter und setzten
den Behörden mit nervtötenden Detailanfragen zu. Sie erklärten, daß die angebliche Seuchengefahr
durch den Abwurf sicherlich nicht größer sei als bei einem Straßenverkehrsunfall mit Tieren und daß
die Schweizerische Rechtsprechung keinen Totenfrieden für das Tier kenne. Doch so richtig diese
Einwendungen auch waren, sie steigerten den Volkszorn umso mehr. Denn gerade auf dem Land
haben die Leute etwas gegen aus der Luft fallende Pferde. Der Dorftierarzt zum Beispiel drohte den
Künstlern schon mit seiner geladenen Flinte. Die ganze Gemeinde diskutierte über die Moralität von
Kunst. Tierfreunde, die im Internet durch die Pferdebörse Österreich’ oder das deutsche Forum
Reitsportnews’ von dem Projekt erfuhren, empfahlen, „dieses sogenannte, durchgeknallte
Künstlerpaar solle sich doch selber runterschmeißen“.

Das Künstlerpaar hat derweil die Manifestationen der Empörung sorgfältig gesammelt – genauso wie
den publizistischen Ertrag, denn vom Bieler Tagblatt’ bis zum Seeländer Boten’ und von Radio
Suisse Romande’ bis Le Matin’ haben natürlich viele Zeitungen und Rundfunksender die prickelnde
Erwartung angesichts des abgestellten Traktors auf dem Feld geschürt. So ist etwas im Werden, das
seit Joseph Beuys unter der Bezeichnung „soziale Skulptur“ durch das zeitgenössische Kunstschaffen
geistert: ein Wirkungszusammenhang aus artistischer Idee, realen Gegebenheiten und menschlichem
Verhalten, zu dem vermutlich auch dieser Bericht gehört. Denn die Massenmedien sind es, welche die
Entstehung und Verbreitung von „Urban Legends“, also von Gerüchten, erst ermöglichen. Auf eine
solche „Urban Legend“ nehmen Steiner und Meyer Cesta auch Bezug: nämlich die in zahlreichen
Varianten immer wieder aufgewärmte Story von der Kuh, die über dem japanischen Meer aus der Luke
eines Frachtflugzeugs gestoßen worden sein und einen Fischkutter versenkt haben soll.

Das Gleichgewicht zwischen Realitätssinn und Mythenfaszination ist eine empfindliche Errungenschaft
der Zivilisation. Wer mit seinen Kunststücken daran herumspielt, löst Verstörung aus. Schon hat es
der Gemeinderat von Rapperswil bitter bereut, im Rahmen der Förderung für „Kunst im ruralen Raum“
auch die equestrische Luftnummer mitsubventioniert zu haben. Sein letztes Ablehnungsschreiben
indes schloß der Gemeinderatspräsident mit der schönen Formulierung: „Wir hoffen auf Ihre Vernunft
und danken für Ihr Verständnis.“
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