F A L L A D A
DIE <URBAN LEGEND> SKULPTUR VON RUDOLF STEINER UND BARBARA MEYER CESTA

 
PRESSE
  
 

BIELER TAGBLATT
25. JULI 2003
  back >>
>> Agenda

Doppelbödige Moral

«Kunst und ihre Bedeutung im Clinch» - BT, 12. Juli

 
Ich fange am Ende des Artikels an: «Sind Realität und Fiktion psychologisch nicht längst dasselbe?» Genau das ist das Problem. Niemand - speziell von der jungen Generation - weiss Welt aus elektronischem Spass besteht. Wenn ein Kind sich vor den Brutalitäten im TV fürchtet, wird ihm die Mutter sagen: «Das ist alles Theater.» Bei den Abendnachrichten hält es dann die tatsächlichen Grausamkeiten auch für Theater. In so eine Welt stossen dann selbsternannte Künstler mit der Ankündigung, ein Pferd vom Himmel zu werfen. Bei den schon sattsam bekannten Unsäglichkeiten, wie etwa dem österreichischen Aktionskünstler Hermann Nitsch, der rituell eine Kuh zerlegt und alle Anwesenden mit Blut beschmiert (zur «geistigen Befreiung») oder Homosexuellen, die nackt auf der Strasse paradieren (würden Sie nackt auf der Strasse gehen und stolz verkünden «Ich bin heterosexuell»?) nimmt man eben an, dass alles möglich ist. Religion hin, gutes Benehmen her, die Kunst muss aus ihrem geschützten Raum, koste es, was es wolle. Da werden dann die kleinen, gelegten «Spuren» und «Hinweise auf Mythen und Legenden» einfach überlesen. Machen Sie doch eine Umfrage, wer von den Lesern je von Grimms Märchen «Fallada» gehört hat. Der Leser wird somit automatisch zum Dummkopf gestempelt, wenn er Hinweise auf «Mythen», die sich zwischen den Zeilen befinden, nicht versteht. Ich finde das eine ebensolche Zumutung wie das Verhalten jenes Flugcontrollers, der meinte, dass jeder den «Spass» verstehen würde, als er während des G8-Gipfels einem harmlosen Hubschrauber, der versehentlich in den gesperrten Luftraum eingedrungen war, den Codenamen «Al Quaida» verpasste. Der Mann arbeitet noch immer bei derselben Firma - war ja nur ein Scherz...
Es gibt, oder vielmehr, es gab so etwas wie einen ungeschriebenen Konsens in de Gesellschaft, man nannte es «den guten Geschmack». Mein Gefühl für guten Geschmack sagte mir, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht macht, auch wenn sie vom Gesetz nicht ausdrücklich verboten sind. Erstens, weil es die Gefühle von Mitmenschen verletzen könnte, zweitens, weil es meinen eigenen Prinzipien widerspräche. Das Zweite kann man bei den heutigen Künstlern, die sich ja als berufsmässige Provokateure sehen, vergessen. Eine mögliche Verletzung der Gefühle ist den Künstlern auch egal, solange das Projekt nicht total schief geht. Dann kann man sich noch immer herausreden mit «der Wichtigkeit von Kultur, durch Denkanstösse Verborgenes aufzudecken». Was für eine Sammlung von hohlen Phrasen! Gleichzeitig verlassen sich dieselben Künstler, die nach der Aussage dieses Artikels die «geschützten Räume» der Kunst verlassen, auf den geschützten Raum der legalen Ebene, damit ihnen das Projekt nur ja verboten wird - ein weiteres Zeichen einer doppelbödige Moral.
Helmut Reif, Biel
_TOP