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DIE <URBAN LEGEND> SKULPTUR VON RUDOLF STEINER UND BARBARA MEYER CESTA

 
PRESSE
  
 

Fallada: Wollen die Künstler das Pferd am Ende gar nicht fallen lassen, sondern auffangen?
BIELER TAGBLATT
122. JULI 2003
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Standpunkt
Annelise Zwez

Kunst und ihre Bedeutung im Clinch

 
Nehmen wir an, Sie sind unterwegs. Da werden Sie aufgehalten von einem Fernseh-Reporter. Der frägt Sie: «Finden Sie es Kunst, wenn ein totes Ross von einem Helikopter auf einen Traktor fällt?» Die Antwort dürfte klar sein: Nein, natürlich nicht. Doch so verkürzt wird in vielen, zum Teil aufgebrachten Diskussionen über das Kunstprojekt Fallada, das Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta für «Rapp - Kunst im ruralen Raum» in Rapperswil (BE) entwickelt haben, gesprochen. Alle Fährten, welche das Künstlerpaar ausgelegt hat, um den symbolischen Charakter ihres Projektes aufzuzeigen, werden ignoriert.
 
Erstens, der Titel: «Fallada». Er verweist von Anfang an auf die Ebene des Märchens und durch die gewählte Geschichte der Brüder Grimm auf einen sprechenden Pferdekopf, dank dem im Märchen die Wahrheit ans Licht kommt. Märchen nutzen oft schauerliche Geschichten, um ihre Symbolik emotional zu verstärken. Steiner/Meyer Cesta haben das Märchen gut genutzt. Nur merkt es (fast) niemand.
 
Zweitens, das Plakat, das auf die Aktion mit Dauer vom 22. Juni bis zum 17. August aufmerksam macht, entspricht einer Schaubuden- oder Zirkusankündigung. Würde die Vorstellung einer «Dame ohne Unterleib» angekündigt, man würde schmunzeln, wissend, dass hier etwas nicht Reales angepriesen wird. Aber bei Kunst folgern das nur wenige.
 
Drittens: Das Projekt wird in der vor Ort und im Internet jederzeit greifbaren Ausstellungs-Broschüre als Legenden-Skulptur bezeichnet. Legenden, vor allem so wie sie sich heute im Internet durch die digitalen Räume hangeln, sind nicht viel mehr als Gerüchte, die man jederzeit neuen Situationen anpassen, bei Bedarf dramatisieren, ausschmücken und verändern kann. Das tut das Künstlerpaar, indem es statt Kuh und Schiff, wie in der Ausgangsstory, Ross und Traktor zusammenführt, die sich im ruralen Raum in den letzten 50 Jahren einen dramatischen Verdrängungskampf lieferten. Auch dieser Gedanke hat keine Chance, wenn sich die Emotion auf «Pferd von Helikopter aufTraktor» eingeschossen hat.
 
Was sich daraus ablesen lässt, ist mehrschichtig. Zum einen spiegelt sich darin ganz allgemein die Macht der Verkürzung, wie sie in Wahl- und Abstimmungskämpfen gang und gäbe ist und es schwierig macht, Differenzierungen fassbar zu machen. Zum anderen, mehr spezifisch, zeigt sich darin ein verbreitetes Misstrauen gegenüber zeitgenössischem Kunstschaffen, gegenüber der Bedeutung von Denk-Bildern, gegenüber der Wichtigkeit von Kultur, durch Denkanstösse Verborgenes aufzudecken.
 
Bewegt sich die Kunst in ihren geschützten Räumen, gibt es selten Probleme - die Szene versteht sich. So quittierten die Veranstalter von «Rapp - Kunst im ruralen Raum» den Vorschlag des Künstlerpaars mit Lachen, Schmunzeln und Vorfreude und verschwendeten keinen Gedanken an Fleisch und Blut. Zu vertraut war ihnen die Konzept-Kunst mit ihren geistigen Turnübungen. Gleichzeitig verliessen sie sich automatisch auf die Gesetzes-Strukturen, die dem Projekt auf legaler Ebene - diese war von Anfang an definiert - nie die Chance einer Umsetzung geben würde und wenn doch, was zurzeit immer noch hängig ist, so wäre das Projekt umso wichtiger.
 
Wie sehr dem Künstlerpaar diese gesellschaftliche Ebene am Herzen liegt, zeigt sich nicht nur in den im Info-Container der Ausstellung einsehbaren Korrespondenzen an sich, sondern auch an den Adressaten. So wurde im Vorfeld auch die «Stiftung für das Tier im Recht» um eine Stellungnahme gebeten, obwohl diese mit einer Bewilligung nichts zu tun hat. Mit anderen Worten: Die ethische und gesetzliche Ablehnung des Projektes ist dem Künstlerpaar ein Teststück für unsere Beziehung zum Tier. Somit sind weder die ablehnenden Stellungnahmen noch das Entsetzen der Bevölkerung von Rapperswil, der Pferdevereinigungen usw. eine Aktion gegen das Projekt. Die Problematik des aktuellen Rummels liegt darin, dass die zum Teil massiven Anwürfe vielfach gegen die Künstler selbst gerichtet sind und zwar meist in der verkürzten Form von zwei Spinnern, die ein totes Pferd von einem Helikopter auf einen Traktor werfen wollen. Um die Leute zu verarschen und sich selbst in Szene zu setzen. Punkt.
 
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die subversiven Bedeutungen, Falladas Wahrheit quasi, selbst für Denk-Gymnastiker nicht so einfach zu dechiffrieren sind und einem Feuerwerk gleich in verschiedenste Richtungen aussprühen. Das kann man spannend finden oder dem Projekt als Schwäche vorwerfen; beides ist möglich.
 
Das Duo will den Sinn des Projektes nicht definieren, um es offen zu halten. Doch in Gesprächen war neben den bereits erwähnten Punkten unter anderem die Rede davon, dass das Tier auch im neuen Tierschutzgesetz keinen «Totenfrieden» hat (sonst müssten wir alle Vegetarier werden) und darum eine Bewilligung gesetzlich nur über Randparameter wie zum Beispiel «Infektionsgefahr» verweigert werden kann. Dann aber auch vom Phänomen der fiktiven Geschichte, die man im Netz oder als «Saure Gurke»-Geschichte genüsslich liest, die jedoch bei einer möglichen Umsetzung in die materielle Ebene zur Horrorvision wird.
 
Am Stammtisch, wo immer neue Interpretationen auftauchen, wollte kürzlich jemand das tote Pferd als Symbol für den Zustand der Landwirtschaft verstanden wissen. Wie wird es in zwei Jahren sein, in wie viel Varianten wird sich die Rapp-Story ins World Wide Web geschrieben haben? Und wer weiss dann noch zu sagen, ob das Pferd abgeworfen wurde oder nicht? Ist das dann noch wichtig? Sind Realität und Fiktion psychologisch nicht längst dasselbe?
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