BUND , Donnerstag, 27. Mai 2004 - Fünf Fragen an:


Fünf Fragen an

Franz Dodel

Schriftsteller, präsentiert sein Buch «Nicht bei Trost – a never ending Haiku» (Edition Haus am Gern) anlässlich der Ausstellungseröffnung von Christoph Hauri.

raum, Militärstrasse 60, Bern. Donnerstag, 27. Mai, 18.30 Uhr.

Franz Dodel, was ist ein Haiku?

Das ist eine dreizeilige japanische Versform, die nebst inhaltlichen Vorgaben eine klar festgelegte Silbenzahl hat: fünf Silben in der ersten, sieben in der zweiten und wieder fünf in der dritten Zeile:
im Wasser blitzen
die kleinen Fischbäuche auf
und wenden das Licht

Ihr Endlos-Gedicht «Nicht bei Trost – a never ending Haiku» ist mittlerweile über 6000 Verse lang, wächst täglich weiter und liegt nun auch in Buchform vor. Worum dreht es sich?

Angefangen hat es als Projekt auf dem Internet, das ich täglich fortschreibe; die drei Bände, die nun publiziert wurden, sind quasi eine Art Zwischenbericht. Sie enthalten nicht nur das eigentliche Gedicht, sondern auch einen ausführlichen Anmerkungsteil, sowie Illustrationen von Rudolf Steiner. Mich interessiert am Haiku die strenge Form, die eigentlich sperrig ist fürs Deutsche, nicht der ursprünglich japanische Kontext. Je mehr ich mich formal einschränke, desto wohler fühle ich mich, denn die Minimalisierung der Form wird zu einer Befreiung. Es geht darum, sich innerhalb eines starren Gerüsts auf etwas einzulassen, das nicht absehbar ist. Das Ziel dieses endlosen Gedichts ist so weit herausgeschoben, dass man es aus den Augen verliert. Dies passt natürlich nicht zu unserer Zeit, in der das Erreichen kurzfristiger Ziele wichtig ist. Das Schreiben an einem solchen Projekt erlebe ich als eine Art existenzieller Grundsituation: Ich bin mir bewusst, dass ich scheitere – und doch nehme ich jeden Tag einen neuen Anlauf ins Unmögliche.

Gibt es inhaltliche Fixpunkte?

Da bin ich absolut frei, es fliesst alles in die Assoziationsketten ein, was ich sehe, womit ich mich beschäftige. Zwei Vorgaben gibt es jedoch, die ich mir selber auferlegt habe. Die erste ist eine relativ banale inhaltliche: Alle 500 Zeilen knüpfe ich irgendwie an Prousts «A la recherche du temps perdu» an, das ist gleichsam ein Ankerpunkt, auf den man schon ein paar Zeilen vorher zusteuert. Die andere Vorgabe ist, dass ich regelmässig selbstreferenzielle Teile einstreue, in denen ich vom Text zurücktrete, Abstand vom Schreiben nehme, aus dem Textfluss auftauche. Damit will ich zeigen, dass dieser Text nichts Delirisches hat, sondern hellwach ist, auch Ironie zulässt. Auf diese Art ist auch das Verzweifeln am Text, an der Unmöglichkeit dieses Unterfangens eingebaut. Darauf spielt ja auch der Titel an.

Sie verfolgen in Ihrer dichterischen Arbeit immer wieder Langzeit-Projekte. Ist das ein Kommentar zum Phänomen Zeit?

Ja, es ist eine Auseinandersetzung mit der Zeit, aber nicht unbedingt eine Zeitkritik. Die Endlichkeit ist für mich das zentrale Thema des Menschen. In meinen Werken kontrastiere ich sie mit repetitiver Arbeit, mit rhythmischen Wiederholungselementen.

Sie sagen, dass es ihm nichts ausmacht, wenn die Leser über der Lektüre Ihres Textes in Schlaf fallen und dass dies den Fortgang des Textes keineswegs beeinträchtige. Weshalb diese Generosität?

Die Leser sollen natürlich nicht vor lauter Langeweile einschlafen. Den Zugang zu meinem Text findet wohl nur, wer es aufgibt, zielstrebig einen Inhalt erfassen zu wollen. Mein Text erlaubt aber jede Freiheit, man kann mittendrin anfangen, Teile herausnehmen, Verse weiterschreiben oder aufhören zu lesen und selber denken. Wenn sich die Grenzen zwischen dem, was man liest, und dem, was man selber dazu assoziiert, auflösen, dann habe ich mein Ziel erreicht – eine Art Traumzustand herzustellen, der eine Art wacher Schlaf ist.

Regula Fuchs

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