skeet & trap

Installation, Intervention

Kunstraum Kreuzlingen 2002

Skeet & Trap

«Das Auge reicht weit. Nütze diese Reichweite aus. Den Standort wählst du so, dass du weit siehst. Der Blick geht von vorne nach hinten und von links nach rechts. Die Abschnitte überschneiden sich.» Soldatenbuch `59

Die Begriffe «Skeet» und «Trap» bezeichnen zwei Varianten, Tontauben zu schiessen. Die Präzision beim Schiessen auf Tontauben liegt nicht im Zielen, sondern leicht daneben - immer leicht vor der flinken Scheibe. Beim «Trap» fliegt sie nach links, nach rechts oder geradeaus. Das Schrot hingegen bildet in der Luft eine Garbe in Form eines gestreckten Zeppelins. Mit Kunst hat das alles nichts zu tun. In der Ausstellung, die Rudolf Steiner im Kunstraum Kreuzlingen zeigt, wird denn auch nicht geschossen - gezielt schon, aber nicht abgedrückt. Steiner bleibt in seinen Arbeiten lediglich der offensiven Wirkung des Blicks treu und teilt zugleich den «Sehstrahl» ein: was vom Auge ausgeht, was eindringt, was übrigbleibt. Deutlich wird dieser Ansatz im Video «Skeet & Trap», das der Ausstellung den Namen leiht. Eingeklemmt zwischen zwei hohe Stellwände zeigt ein Monitor den unablässigen Versuch des Künstlers, über einen Metallstab die Landschaft zu peilen. Wie beim Zeichnen über den Daumen Maß genommen wird um Größenverhältnisse und Distanzen zu erkennen, entfaltet sich im Video die Landschaft selbst zu einer Folie mit Einschnitten, Kanten und Scharten, denen der Stab folgt, in die der Stab sich legt, die der Stab auch verbirgt. Das Werkzeug zu dieser «Alphabetisierung des Horizontes» liegt in Form einer Kiste mit sorgfältig abgestuften Metallstäben ebenfalls bereit.

Im Zentrum des Raumes stehen drei Metallboxen eines Recyclingunternehmens, dafür bestimmt, die Waffen der Region Bodensee aufzunehmen und der Verschrottung zuzuführen. Dazu fordern die Inserate auf, die der Künstler im Vorfeld der Ausstellung in regionalen Zeitungen schalten wird. Wenn die Mulden leer bleiben, aber auch wenn Waffen abgegeben werden - die Möglichkeit besteht am 19. Februar von 12 bis 21 Uhr unter Aufsicht eines Waffenexperten der Kantonspolizei Thurgau - bleibt ein Unbehagen, das ganz real mit der Welt außerhalb des Kunstraumes verbunden ist. Ein Unbehagen, das sich hinterhältig auch in anderen Arbeiten verbirgt; so entpuppen sich die großen runden Mandala-Scheiben erst beim zweiten Blick als Fotos aus dem Innern von Gewehr- und Pistolenläufen (fotografiert beim Wissenschaftlichen Dienst der Kantonspolizei Zürich). Und die Männergesichter, die aus fünf Monitoren unter der Decke angestrengt in den Raum blicken sind Modellauto-Piloten, die ihre Fahrzeuge per Funksteuerung über die Piste jagen. Gegenüber führt ein Akrobatikpilot vor seinem Flugzeug einen seltsamen Tanz auf: die 16mm Projektion zeigt das nochmalige körperliche Memorieren des Akrobatik-Programms kurz vor dem Flug. Hier ist der Blick im Gegensatz zu den Modellpiloten ganz nach innen gerichtet - und bei der Super-8 Installation mit dem Titel «Die Berner Spannerfilme» haben die BetrachterInnen sogar die Möglichkeit, während acht Stunden den obsessiven Blick eines unbekannten Voyeurs zu teilen.

Trmasan Bruialesi

Ansprache von Prof. Dr. Peter Johannes Schneemann

Rudolf Steiner im Kunstraum Kreuzlingen 26. Jan. bis 10. März 2002


Sehr geehrte Damen und Herren,

Was ist der Ursprung eines Bildes? Wie sind die Bedingungen seiner Entstehung? Wer ist die Autorin oder der Autor eines Bildes? Blicken wir auf die antike Mythologie, so findet sich der Schatten als Urbild des Abbildes. Ohne die Identität eines Rezipienten lässt die Sonne das Objekt selbst seinen Schatten werfen. Gehen wir jedoch vom Modell des Auges aus, dann sind es Lichtstrahlen, die durch die Pupille dringen und zu einem klaren Abbild der Umgebung auf der Netzhaut einer sehenden Individualität führen. Das Schauen des Subjektes ist ein zielgerichtetes. Das Auge kann fokussieren, es kann sich verschließen, geblendet werden oder dumpf starren.

Rudolf Steiner erhielt 1997 das renommierte Aeschlimann-Corti Hauptstipendium des Kanton Bern für den Antritt des Beweises, dass der Ursprung des eigenen Abbildes nicht nur der narzisstische Blick in den Spiegel, sondern der gezielte Gewehrschuss auf die Black Box der Erkenntnis sein kann. Für die Foto- Serie „Pictures of me. Shooting myself into a picture“ schoss der Künstler auf eine mit lichtempfindlichen Fotopapier ausgekleidete Kiste, erzeugte mit diesem Akt der Aggression eine Lochkamera, die ein Bild von ihm produzierte, dass ihn gleichzeitig als Produkt wie auch als Opfer seines Zielens zeigt. Exact an der Stelle seines Kopfes hat das Projektil das Fotopapier durchschlagen.

Die Kunstgeschichte definiert sich gerne als Bildwissenschaft. Sie beschreibt und deutet in dieser Haltung die visuelle Qualität von Kunstwerken, diskutiert ihre Komposition, beschwört ihre Wirkung als ästhetische Objekte. Der formalistische Blick des Modernismus versucht, ein unschuldiger zu sein. The innocent eye, erstmals 1875 propagiert von John Ruskin (”Elements of Drawing”), strebte kindliche Unschuld an, um reine Formen und Farben in Selbstbezüglichkeit und Selbstgenügsamkeit zu sehen.

Was hat das mit den Fotos, Videoarbeiten und Installationen von Rudolf Steiner zu tun?
Rudolf Steiners Arbeiten führen zu einem Misstrauen gegenüber dieser Reinheit des Sehens.
Die Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen demonstriert eine Analyse des Blickes, eine Differenzierung, die als Suche nach der Typologie des Blickes verstanden werden kann.
Ansätze zu einer solchen Typologie ziehen sich durch das bisherige Schaffen Steiners wie ein roter Faden, garantieren eine Konstanz, die jedoch nicht linear und repetitiv erscheint, sondern einer fortschreitenden Forschung entsprechen, gewürdigt mit zahlreichen Kunstpreisen und Auszeichnungen.

Wird der Blick als Handlung begriffen, dann stellt sich die Frage nach seiner Richtung, nach seinen Zielen, nach seiner Absicht. Rudolf Steiner interessiert sich in den hier versammelten Arbeiten weniger für das, was der Blick findet. Er zeigt kein Ergebnis und keine Opfer. Auch den Protagonisten gilt nicht das primäre Interesse, sondern den Bedingtheiten des Sehens, den Instrumenten, mit denen wir unseren Blick lenken. Bis hin zur völligen Abkoppelung von Geste und Blick.

Der Stab über den der Künstler wie ein alter Landschaftsmaler die Welt vermisst verliert seine Unschuld endgültig, wenn er durch Kimme und Korn einer Schusswaffe ersetzt wird. Steiner geht noch einen Schritt weiter, er verlagert den Blick in den Lauf der Schusswaffe selbst. Er spürt die Spuren auf, die das verletzende und tötende Projektil zweifelsfrei einer Waffe, mit der gezielt wurde, zuordnen lässt. Der Künstler bedient sich einer Methode, die von der Kriminalistik angewandt wird. Es entstehen Bilder, die wie große, entleerte Pupillen auf uns zurückschauen.

SMITH & WESSON - 147X147cm - digiprint

Das Thema der Aggression oder der Gewalt wird dennoch nicht unmittelbar visualisiert. Die internationale Fotokunst der letzten Zeit hat mit dem Blick durch die Kamera Grauen und Schock dokumentiert und ließ dabei immer wieder nach den ethischen Implikationen eines gebrochenen Verhältnisses zwischen dem Schauenden und dem Geschauten fragen. Rudolf Steiners Arbeiten setzen dagegen nicht auf das Spektakuläre, Schockierende, zeigen keine Leichen. Seine Experimente sind der unsichtbaren Aktivität des Blickes auf der Spur, vermögen sie sichtbar zu machen. Ob unser gerichtetes Sehen der Neugier durch das versteckte Guckloch oder der Kontrolle eines ferngesteuerten Autos über die Funkantenne dient, der Aussicht in die Landschaft oder der Einsicht in unsere Vorstellungswelt gilt, vermögen Steiners Arbeiten differenzierend zu vergleichen. Die Spuren, die unser Schauen hinterlässt, können wir lesen, wir müssen uns ihnen stellen. Bilder als Produkt der Erkenntnis sind nur unter Aufgabe der Unschuld zu begreifen.
Die leeren Stahlcontainer, die am 19. Februar Waffen aus der Bodenseeregion aufnehmen können, laden fremde Instrumente, Geschichten und Spuren des gezielten Blickes ein. Sie sollen in den ästhetisch und gesellschaftlich definierten Raum der Kunst getragen werden. Sollten Waffen eintreffen, so muss der Künstler unter Aufsicht eines Beamten mit seiner Unterschrift die Verantwortung für sie übernehmen.
Können wir so unseren Blick verändern? Wohl kaum. Aber wir können fragen, ob wir so die Bildwelten, die wir außerhalb der Kunst wahrnehmen müssen, etwas besser, und sei es nur reflektierter, verstehen können.

Für die gesellschaftliche Aufgabe, die Waffen zu übernehmen, in den Raum der Kunst zu überführen, wird der Künstler nicht entlöhnt. Sein Gewissen können wir ebenso wenig erkaufen wie unsere Unschuld. Rudolf Steiners Kunstwerke jedoch sind verkäuflich.




Montag, 4. Februar 2002
Prof. Dr. Peter Johannes Schneemann
Institut für Kunstgeschichte
Hodlerstr. 8
3011 Bern

KunstraumKreuzlingen

home

close